Schang Hutter Lisa Hutter Schwahn

Kunst auf dem Landenberg, Sarnen/CH 2018

Die nährende Vogelgöttin, Installation, gestickt auf Leinen, 2018, 145 x 125 x 80 cm
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Lisa Hutter Schwahn     Ausstellung auf dem Landenberg, 20.10.2018

von Dr. phil. Elsbeth Schild, Brügglen/CH

Wenn Sie die künstlerische Laufbahn von Lisa Hutter Schwahn durchlesen, werden Ihnen zwei Tendenzen auffallen: Es gibt eine Neigung zum Handfesten, Soliden und eine Neigung zum Ausgeflippten, zum Überschreiten der Grenzbereiche. Und ich denke, gerade diese entgegengesetzten Neigungen lassen so bezaubernde Dinge entstehen, wie wir sie hier antreffen.

Das Handfeste: Lisa Hutter lernt Damenschneiderin, sie wirkt als Handarbeits-lehrerin, lernt zeichnen, modellieren, Gips giessen; sie bildet sich aus in Fragen der Arbeitssicherheit, sie macht Stimmbildung und Rhythmusarbeit.

Und alsbald zeigt sich in all diesen Bemühungen um Handfestes, d.h. um Solides und Nützliches Lisas Hang zum Ausgeflippten, oder sagen wir besser zum Überschreiten der Bereiche in unterschiedlichste Richtungen. Sie sucht die Nähe zum Theater, erfindet Kostüme, sie tanzt, wird Mannequin, führt Heilgespräche und gestaltet Rituale, sie widmet sich den Erwerbslosen, den Asylsuchenden, den Menschen mit Handicap. Und schon fliegen ihre Pappmachépuppen durch die Luft, und plötzlich ist sie freischaffende Künstlerin, und plötzlich ist sie in München und hat ein eigenes Atelier.

Am Anfang aber die Damenschneiderin. Mit ihr möchte ich unbedingt beginnen.

Der Begriff tönt ein bisschen nach gehobenem 19. Jahrhundert. Er versetzt mich in die Zeit meiner Kindheit, als es üblich war, sich die besseren Kleider von der Schneiderin machen zu lassen. Ich kannte zwei solche Frauen, beide unverheiratet, kinderlos, im Haus der Eltern geblieben. Ich bewunderte ihre Fähigkeit, aus den flachen, zweidimensionalen Materialien kleidsame Hüllen für dreidimensionale Frauen herzustellen. Ihre Nähstübchen waren bisweilen ein Tummelplatz von

Geschichten, Gerüchten, ausgelassenen Fantasien: und wie stünde dir das? Und:

damit könnte ich ja…als wäre das Ganze nur ein Vorwand, sich hinter den Kulissen für die Benimm-dich-Regeln auf der Bühne schadlos zu halten.

Aber was geschieht, wenn die Damenschneiderin eines Tages z.B. einen Fetzen Stoff mit Stich-Proben, ein Stück Muster-Papier aufhebt, zurechtschneidet und in einen Rahmen setzt? Oder gar mit Pinsel und Stift nachhilft, damit es so aussieht, als wäre es so ein Stück? Dann ist sie ohne eine Regieanweisung abzuwarten auf die Bühne getreten, dann stört sie vermutlich die Spielregeln, dann muss mann auf sie reagieren, sie entweder zurückbugsieren oder aber das Stück ein bisschen umschreiben.

Lisa Hutter ist auf die Bühne getreten und sie hat sich nicht wieder verscheuchen lassen. Und es zeigt sich: Sie hat etwas zu erzählen, sie hat etwas auszuagieren, von dem sie wohl selber nicht genau weiss, was es ist und wohin es führt, aber es verlangt nach Raum und nach Gesten und öffnet neue Räume, mit Bildern, die aussehen, als wollten sie den Gesten alsbald wieder entfliehen.

Es zeigt sich aber auch: Die Gebilde, die erst noch Material waren zu einem bestimmten Zweck, der Fetzen, der Faden, die Linie, die Rohlinge, werden jetzt, abgefallene sozusagen, zu rätselvollen Zeichen, offen für vielerlei Deutungen.

Als erste Deutung drängt sich  wohl Weiblichkeit auf. Die Fäden, das Gewebe erinnern an urweibliche Tätigkeiten, an die Nornen oder Parzen, die Schicksalsgöttinnen, die über Menschen und Göttern stehen. Vor aller Zeit waren sie schon da, sie spinnen unsere Lebensfäden und verflechten sie in das Gewebe der Welt. Jedoch von Machtfülle, von weiblicher Urgewalt fehlt hier, bei Lisa Hutter, jede Spur. Hier scheint etwas auf der Flucht nur ein paar Hülsen und ein paar  verwischte Spuren hinterlassen zu haben. Selbst in den Farben deutet sich der Rückzug an. ( Ich spreche hier von den „älteren“ Arbeiten, nicht von den beiden allerneuesten.) Das Weiss der Unschuld bekommt in der übergangslosen Nähe zum Schwarz des Todes etwas leise Schreckendes; Rot, in der matriarchalen Welt unerlässlich, erscheint nur sparsam, da und dort in zarten Andeutungen, mehr ein Zeichen von Verwundung als von erfülltem Leben.

Aber der Schrecken löst sich auf, denn über das Ganze breitet sich wohltuend ein Hauch von Ironie. Wie könnten sonst die schwarzen gestelzten Wesen uns plötzlich rühren in ihrer übereifrigen Höhe, wie könnte der Ernst, mit dem sie ihre Trophäen präsentieren, uns ein Schmunzeln entlocken? Und die Trophäen selbst, die uns einen Augenblick an Gewalttaten, Schändung denken liessen, sie könnten doch, ironisch beleuchtet, dem Sack des Lumpensammlers entronnen sein: Da seht ihr den Abfall aus alten Rollenspielen, diese braven Hemdchen und Schleifen, wir haben sie, frau hat sie endgültig hinter sich gelassen.

Die allerneusten Arbeiten wirken heiter. Ich sehe darin ein delikates Spiel mit Metamorphosen. Und die Farbe Rot gibt diesmal einen wärmenden Grund ab.

Wir alle wissen: Kunstgebilde existieren nicht ohne das Auge, ohne die Zuwendung der Betrachtenden. Wo uns nichts anspricht, kommt unsere Phantasie nicht in Gang, finden wir weder Fragen noch Antworten. Wo wir aber berührt werden, möchten wir verweilen, den Bewegungen, die sich wie von selbst ergeben, nachspüren.

Für mich ist Lisa Hutters  Ahninnenreihe ein besonders sprechendes, besonders berührendes Werk. Wenn ich den Fragen nachgehe, warum das so ist und den Phantasien, die sich einstellen, Raum gebe, dann ergibt sich etwa die folgende

Szenerie:

Ich sitze sehr verjüngt und also noch nicht im Ahninnenalter, in Lisas damaligem Elternhaus in einer lauten Runde von lachenden und über die Welt schimpfenden Erwachsenen. Und irgendwann bewegt sich leise und halb vom Dunkel verschluckt ein elfenhaftes Wesen durch den Raum, ein hochgewachsenes Mädchen von 12, 13 Jahren, uns stumm mit grossen Augen beobachtend, im Weitergehen den Kopf mit dem wilden Kraushaar leicht zur Seite gedreht. Keiner hat sie bemerkt, und ich verrate sie nicht, denn mir scheint, sie will etwas an uns vorbei schmuggeln, an einer unsichtbaren Leine zieht sie Unsichtbares hinter sich her, eine Löwin auf Samtpfoten

vielleicht, eine Botin auf heikler Mission, wer weiss. Sie entschwindet, und unsere laute Runde macht weiter.                                                             

Und da steht sie heute, die Löwin, reduziert zwar, aber unverkennbar, der Kopf erinnert an göttliche Löwinnen aus dem antiken Kreta, die leichte Last auf ihrem Rücken erinnert an Bühne und Laufsteg. Unbekümmert um ihre Fremdheit steht die Löwin da, leichtfüssig tänzeln die entschwundenen Ahninnen. Ihnen scheint es egal, dass sie ohne Denkmal blieben, scheint es zu genügen, dass sie da waren und auf den vergänglichen Hüllen ihre höchst persönlichen Botschaften hinterliessen.

.woher kommt die Kraft?, hat sich die Künstlerin in der Legende zu diesem Werk selber gefragt. Ja, das ist auch meine Frage, woher bloss nahmen und nehmen sie, diese gebrechlichen Wesen, die Kraft, das alles zu überstehen.

Ich danke Lisa Hutter Schwahn, dass sie die unsichtbare Leine so fest in der Hand behalten mag, und ich wünsche, dass sie weiterschmuggelt, weiter ausgeflippte und heikle Dinge an unserem Lärm vorbei in die Welt bringt.

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